Gedenken – umdenken – versöhnen (KBW Miesbach)
Das Projekt „gedenken – umdenken – versöhnen“ des Katholischen Kreisbildungswerks Miesbach thematisiert die Erinnerungstraditionen rund um die Gedenktafel zur Schlacht am Annaberg, die sich an der Weinbergkapelle in Schliersee befindet. Entscheidungsprozesse zur künftigen Gestaltung des Erinnerungsortes Weinbergkapelle sollten im Projektverlauf angestoßen und begleitet werden. Der Fokus wurde dabei vor allem auf die Information der Bevölkerung durch ausgewiesene Experten und auf einen offenen Dialog zwischen allen am Thema interessierten Personen gelegt.
Die Bildungsinitiative wurde gefördert als Innovatives Projekt der Katholischen Erwachsenenbildung im Bildungsfeld der Kulturellen Bildung. <events Name="Zeitgeschichte" keyword="Denkmäler Erinnerungskultur Nationalsozialismus Zeitgeschichte"> Angebote zum Thema „Zeitgeschichte“</events>
Hintergrund
Seit Jahrzenten ist man sich in Schliersee uneinig über den Umgang mit dem Denkmal an der Weinbergkapelle, mit dem 52 gefallenen Angehörigen des Bund Oberland gedacht wird, die bei der Schlacht am Annaberg 1921 ihr Leben ließen. Für die einen ist es schlichtes Totengedenken, für die anderen steht fest, dass ein Gedenken in nationalsozialistischer Tradition für die heutige Zeit nicht infrage kommt. Letzteres sehen auch das Kath. Bildungswerk Miesbach und die Pfarrei Schliersee so.
Zusammen mit Ludwig Schmidinger, dem Bischöflichen Beauftragten für die Erinnerungs- und Gedenkstättenarbeit, dem Diözesanrat und dem Institut für Zeitgeschichte München - Berlin wollte das KBW Miesbach eine Wissens- und Diskussionsgrundlage für die Frage schaffen, wie mit dem Denkmal künftig umgegangen werden kann.
Projektziele
52 Mitgliedern des Freikorps Oberland, die bei der Erstürmung des Annabergs in Oberschlesien am 21. Mai 1921 ums Leben gekommen sind, ist eine Gedenktafel gewidmet, die an der Weinbergkapelle in Schliersee angebracht ist. Diese Gedenktafel aus dem Jahr 1956 geht auf ein 1923 errichtetes Denkmal zurück, das von der amerikanischen Besatzungsmacht 1945 als Symbol für Nationalismus und Militarismus zerstört wurde.
Hier laufen also verschiedene Stränge des Gedenkens und der Heldenverehrung zusammen, die ihren Ursprung im allgegenwärtigen deutschen Nationalismus der Jahre nach 1920 hat und von den Nationalsozialisten aufgegriffen, überhöht und radikalisiert wurde. Im Zeichen der deutschen Teilung, des Verlusts der Gebiete östlich von Oder und Neiße sowie des Heimatverlusts im Zuge von Flucht und Vertreibung in den 1950er-Jahren erhielt sie dann noch einmal eine neue zusätzliche Bedeutung.
Sowohl über die Gedenktafel als auch über Feierlichkeiten zum Jahrestag der Schlacht um den Annaberg gibt es seit Jahren heftige Auseinandersetzungen. Dabei geht es vor allem um fragwürdige Kontinuitäten, verklärend-unkritische Geschichtsbilder und die Rolle der Kirche.
Eine offene Diskussion über die Frage nach der Zukunft der Gedenktafel wünschten sich die Pfarrei Schliersee und das Katholische Bildungswerk Miesbach. Ziel war es, ein Forum für sachliche Debatten zu schaffen, um möglichst alle interessierten Gruppen miteinander ins Gespräch zu bringen und gemeinsam konsensfähige Vorschläge für einen angemessenen Umgang mit einem schwierigen Stück Geschichte zu erarbeiten.
Da das Thema ausgesprochen brisant und das öffentliche Interesse an den diesbezüglichen kirchlichen Aktivitäten sehr groß ist, war der Antragsteller der Überzeugung, dass alle Maßnahmen sorgfältig vorbereitet und wissenschaftlich begleitet werden müssten. Sie sollten in Abstimmung mit allen relevanten politischen und kulturellen Trägern erfolgen:
- ein breit angelegter Diskussions- und Entscheidungsprozess, der die Frage nach dem künftigen Umgang mit der Gedenktafel klären sollte. Dabei standen Information und Aufklärung an erster Stelle.
- Vortrags-, Informations- und Diskussionsangebote in und um Schliersee zu
- historischen Fakten und Zusammenhängen
- Funktions- und Wirkungsweisen von Denkmälern dieser Art
- Heldengedenken im Wandel
- eine Dauerausstellung in der Pfarrei Schliersee und dem Heimatmuseum
- ein Sammelband, der sowohl die Vortragsreihe als auch die Entscheidungsprozesse dokumentiert, unter dem Arbeitstitel: „Umkämpftes Gedenken. Der schwierige Umgang mit Krieg und NS-Zeit am Beispiel der Weinbergkirche in Schliersee“
Projektinhalte
gedenken – umdenken – versöhnen Das Annabergdenkmal in Schliersee
Einer der schönsten Flecken am Schliersee ist der Aussichtspunkt von der Weinbergkapelle. Er lädt ein zu Genuss und Besinnung und mag für viele ein Ort schöner Erinnerungen sein. Erinnerungsorte sind jedoch oft mehr als das. Sie können auch politischen Zwecken dienen und werden nicht selten instrumentalisiert.
Folgene Fragestellungen wurden im Projektverlauf thematisiert:
- Was hat es mit dem wechselvollen Gedenken an die Schlacht um den Annaberg in Oberschlesien am 21. Mai 1921 auf sich?
- In welcher Absicht wurde 1923 auf dem Weinberg ein Denkmal errichtet und 1956 die heute so umstrittene Gedenktafel an der Kapelle angebracht?
- Welche politischen Aussagen waren damit verbunden?
- Wie gehen wir mit solchen Orten heute um? Ist es möglich, Tradition, Erinnerung und kritische Aufklärung miteinander zu verbinden?
- Oder bleibt nur die Alternative zwischen Erhalten und Entfernen?
Diesen Fragen stellten sich Pfarrei und Gemeinde. Das Projekt wurde vom Institut für Zeitgeschichte München-Berlin wissenschaftlich begleitet und vom Katholischen Bildungswerk im Landkreis Miesbach e.V. durchgeführt. Zu den Veranstaltungen und den Gesprächen waren alle Interessierten herzlich eingeladen.
Phase 1: Fakten und Hintergründe
In der ersten Projektphase stand die Vermittlung von Fakten und Hintergründen im Rahmen einer Bildungreihe, die Vorträge und Exkursionen beinhaltete, im Mittelpunkt.
Die einzelnen Veranstaltungen lauteten:
Nationalsozialismus in der Erinnerungskultur der Bundesrepublik
Referent: Prof. Dr. Andreas Wirsching, Institut für Zeitgeschichte München-Berlin (IfZ)
Mi 28.2.2018, 19:00–20:30 Uhr im kath. Pfarrsaal Lautererstraße 1, 83727 Schliersee
Edelweiß und Hakenkreuz – Das Freikorps Oberland und die Weimarer Republik
Referentin: Dr. Susanne Meinl
21.3.2018, 19:00–20:30 Uhr im kath. Pfarrsaal, Lautererstraße 1, 83727 Schliersee
Kriegerdenkmäler im Deutschen Reich und in der Bundesrepublik
Referent: N.N.
18.4.2018, 19:00–20:30 Uhr im kath. Pfarrsaal, Lautererstraße 1, 83727 Schliersee
„Sie werden wieder auferstehen.“ Die Auslegung einer Prophezeiung
Referent: Ludwig Schmidinger, Pastoralreferent, Katholische Seelsorge an der KZ-Gedenkstätte Dachau
16.5.2018, 19:00–20:30 Uhr im kath. Pfarrsaal, Lautererstraße 1, 83727 Schliersee
München und Oberbayern nach dem Ersten Weltkrieg als Laboratorium des Rechtsextremismus
Referent: Dr. Roman Töppel
13.6.2018, 19:00–20:30 Uhr im kath. Pfarrsaal, Lautererstraße 1, 83727 Schliersee
Die beiden Denkmäler von 1922 und 1956. Wie wirken sie in der Nachkriegszeit fort?
Referent: Dr. Thomas Schlemmer, IfZ und Diplomsoziologe Werner Hartl, IG Metall
18.7.2018, 19:00–20:30 Uhr im kath. Pfarrsaal, Lautererstraße 1, 83727 Schliersee
Exkursion 1 : Annaberg und Auschwitz
15. bis 18. Juni 2018: Annaberg und Auschwitz – viertägige Bildungsreise nach Polen
Exkursion 2: Bad Tölz, Hindenburgstraße; Dietramszell, ehemaliges Hindenburg-Denkmal
Die Veranstaltung musste leider entfallen.
Phase 2: Erarbeitung von Lösungsansätzen in einem Workshop
Termin: 10. November 2018
Prof. Dr. Hermann Rumschöttel, Historiker und ehemaliger Generaldirektor der Staatlichen Archive Bayerns, ist ein erfahrener Vermittler, wenn es um kontroverse Positionen im Umgang mit belasteten Gedenkorten geht. Auf sein Wissen und seine Erfahrung konnten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des von ihm geleiteten Tagesworkshops am 10. November 2018 vertrauen.
Es bestand für Schlierseer Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit, sich aktiv an diesem Workshop zu beteiligen. Voraussetzung dafür war die Teilnahme an der Vortragsreihe in Schliersee (nach Möglichkeit), in jedem Fall aber die Einreichung eines halbseitigen Positionspapiers zum Umgang mit dem Denkmal oder eine konkrete Idee dazu.
Bei dem Workshop wurden möglichliche Lösungen erarbeitet. Aus den Einsendungen, die nach dem Workshop erfolgten, wurde eine Auswahl getroffen, die es den Verantwortlichen ermöglichte, ein breites Spektrum an Ideen und Plänen zu erarbeiten.
Bewerbungsadresse: KBW Miesbach, Stadtplatz 4, 83714 Miesbach oder kbw-miesbach@t-online.de
Bewerbungsfrist war der 14. November 2018.
Phase 3: Entscheidung und Umsetzung der Ergebnisse
Die Vortragsreihe ‚Fakten und Hintergründe‘ (Phase 1) und die Vorschläge für den künftigen Umgang mit dem Gedenkort am Weinberg (Phase 2) waren die Grundlage für Vorschläge, die im Frühjahr 2019 einem Entscheidungsgremium vorgelegt wurden. Diesem Gremium gehörten an: Vertreter der Pfarrei Schliersee als Eigentümerin der Gedenktafel, Vertreter des Gemeinderats, Vertreter lokaler Bildungseinrichtungen sowie Vertreter von Kunst, Kultur und Wissenschaft.
Es wurde eine konkrete Empfehlung mit Zeitplan und Zuständigkeiten entwickelt, die Umsetzung liegt in Händen von Pfarrei und Gemeinde.
Innovation
Innovativ ist der Bildungsgegenstand, vor allem in Verbindung mit der Relevanz für das öffentliche Ansehen einer kirchlichen Einrichtung.
Nachhaltigkeit und Übertragbarkeit
- Heldengedenken soll Friedensgedenken werden. Ein Umdenken auf breiter Ebene.
- Das Ansehen der Kirche im Umgang mit problematischer Vergangenheit wahren.
Kooperationspartner
Institut für Zeitgeschichte München-Berlin
Bischöflicher Beauftragter für die Erinnerungs- und Gedenkstättenarbeit, Ludwig Schmidinger
Diözesanrat der Erzdiözese München und Freising
Resümee
Das als innovativ geförderte Projekt wurde im Mai 2019 mit einer Entscheidung abgeschlossen, die das Ende des Bildungsprozesses markiert. Es gibt eine Lösung, deren Umsetzung sich Marktgemeinde und Pfarrei angenommen haben. Die öffentliche Aufmerksamkeit, die das Projekt begleitete, ist in zahlreichen Pressemitteilungen dokumentiert.
Kontakt
Katholisches Bildungswerk im Landkreis Miesbach e.V.
Dr. Wolfgang Foit