Erinnern – gedenken: Eine Grundaufgabe für Christen und die Kirche in der Erzdiözese München und Freising

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„Erinnern – gedenken: Eine Grundaufgabe für Christen und die Kirche in der Erzdiözese München und Freising“ war der Titel eines Vortrags von Ludwig Schmidinger, der am 22. Mai 2019 im Rahmen des Afterwork Lab der Katholischen Erwachsenenbildung München und Freising e.V. stattfand.

Der Vortrag von Ludwig Schmidinger zum Thema „Erinnern – gedenken: Eine Grundaufgabe für Christen und die Kirche in der Erzdiözese München und Freising“

Auf dem Gebiet der Erzdiözese München und Freising wird dieses Thema unmittelbar und in besonderer Weise an der KZ-Gedenkstätte Dachau sichtbar, die deutschland- und europaweit als ein wichtiger Erinnerungsort gilt. Deshalb ist die Erinnerungs- und Gedenkstättenarbeit des Erzbistums im Rahmen der Erinnerungskultur stark in der KZ-Gedenkstätte Dachau verortet. Ludwig Schmidinger, Pastoralreferent und Bischöflicher Beauftragter für KZ-Gedenkstättenarbeit in der Erzdiözese München und Freising sowie Leiter des Fachbereichs Erinnerungs- und Gedenkstättenarbeit im Erzbischöflichen Ordinariat München, gab den Zuhörern in seinem Vortrag einen Überblick über das Thema „Erinnern und Gedenken“. <events Name="Gedenkstättenarbeit" keyword="KZ-Gedenkstätte Gedenkstättenarbeit"> Bildungsveranstaltungen zu den Themen „Erinnern“ und „Gedenken“</events>


Zusammenfassung des Vortrags

Einleitung und etymologische Annäherung

Zu Beginn seines Vortrags gab Schmidinger einen Überblick über verschiedene Begriffe aus den Wortfeldern „Erinnern“ und „Gedenken“ und zeigte deren jeweils spezifische Bedeutungen auf. Daran schloss sich eine kurze etymologische Erklärung der Begriffe „Gedenken“ und „Erinnerung“ an, um die Zuhörer für das Thema „Erinnern und gedenken“ zu sensibilisieren.

Hauptteil: philosophisch-theologische Annäherung

Eine erste Vertiefung erfuhr das Thema dann mittels eines Blicks auf die Philosophie und Theologie. Philosophisch ist dabei vor allem Platons Sichtweise interessant, der Erinnerung als Wiedererinnerung verstand. Platons Modell zufolge ist alles Wissen bereits im Menschen angelegt, er muss es sich lediglich in Erinnerung rufen und daher nichts neu erlernen. Theologisch gesehen begegnet der Begriff der Erinnerung bereits im Alten Testament. Dort ist er stark mit dem Begriff der Heilsgeschichte verknüpft und hat eine Vielzahl von Bedeutungen, wie z. B. beim Totengedächtnis, im Rahmen der Bundesformel sowie in vielen Erzählungen und Überlieferungen des Alten Testaments.

Im Neuen Testament, so führte Schmidinger weiter aus, treten die vier Evangelien als Erinnerungsliteratur in den Vordergrund, in deren Zentrum wiederum die Christusoffenbarung und in Folge davon das Wirken des Hl. Geistes sowie die Eucharistie stehen. In systematisch-theologischer Perspektive steht die „Erinnerung“, also die memoria, in einem engen Bezug zur einmaligen Heilstat Jesu Christi und dem daraus resultierenden Selbstverständnis und Selbstvollzug des Christentums als einer geschichtlich begründeten Offenbarungsreligion. So ist der Vollzug des Christentums weder nur Rückbesinnung noch eine rein subjektiv-innerliche Erinnerung, sondern vielmehr eine Vergegenwärtigung durch die kirchlich-öffentliche und gemeinschaftliche Feier, die einen überzeitlichen Charakter trägt.

Der Vollzug der christlichen memoria geschieht im Wesentlichen auf drei Arten, nämlich mittels der martyria, die in Wort und Tat Zeugnis vom Glauben gibt, der leiturgia, durch deren Feier die Heilstat Jesu vergegenwärtigt wird und schließlich der diakonia, die den christlichen Lebensvollzug als Christusnachfolge, bis hin zu Leiden und Sterben, beinhaltet. Alle drei Formen sind getragen von der koinonia, der Gemeinschaft, und somit keine rein subjektiven Vollzüge.

Die Liturgie ist als Feier ein ausdrückliches Erinnern, und zwar durch die Gemeinschaft der Feiernden selbst, durch das Bewusstmachen der Vergangenheit und durch die daraus hervorgehende Hoffnung auf die Zukunft. Durch die so gefeierte Vergegenwärtigung geschieht die Begegnung mit Gott, der da ist (JHWH → „Ich (bin) da“).

Die zentralen Stellen im Neuen Testament, die sich mit dem Gedenken und Erinnern beschäftigen, sind daher jene, die die Eucharistie bzw. das Abendmahl thematisieren. Die älteste Schriftstelle dieser Art ist der 1. Korintherbrief (1 Kor 11,23–25), in dem Paulus den Einsetzungsbericht mit der zweimaligen Aufforderung Jesu, das Abendmahl zu seinem Gedächtnis zu feiern, wiedergibt. Ähnliche Berichte finden sich im Lukas-, Markus- und Matthäus-Evangelium (Lk 22,15–20; Mk 14,22–25; Mt 26,26–29). Im Johannes-Evangelium taucht das Thema des Abendmahls als Gedächtnis Jesu an zwei Stellen auf, nämlich in der Eucharistischen Rede (Joh 6,56) und beim Abschiedsmahl (Joh 13). Die in Joh 6,56 geschilderte Abendmahlsmystik wird in Joh 13 erneut aufgegriffen und zu einer Christusmystik im gemeinschaftlichen Halten des Liebesgebots gesteigert.

Der Christ ist im Sinne der genannten Schriftstellen gefordert, zu erinnern und zu gedenken. Gedenken soll er der Heilstaten Gottes, der die Menschen in ihrer Würde als seine Ebenbilder erschuf und sie aus der Knechtschaft befreite, sowie der Erlösung, Befreiung und Heilung durch den Heiland Jesus Christus, der die Menschen aus Schuld, Verstrickung und der Angst vor dem Tod befreite.

Schluss: Erinnerung und Gedenken an die Blutzeugen

Das Fazit des Vortrags von Schmidinger: Die Blutzeugen bzw. Märtyrer waren gelebte Beispiele für den Glauben und das Vertrauen selbst in den extremsten Situationen. Der Glaube ist jedoch keine Leidensideologie, sondern er schärft den Blick für die Unvermeidlichkeit des Leidens und zeigt in den Märtyrern Zeugen der Hoffnung auf. Daher ist das Gedenken und Erinnern an die Märtyrer eine wichtige und zentrale Aufgabe im kirchlichen Leben der Erzdiözese München und Freising. Dies trifft insbesondere für die im Konzentrationslager Dachau inhaftierten und ermordeten Opfer des nationalsozialistischen Regimes zu, derer das Erzbistum seit 2017 alljährlich am 12. Juni, dem Gedenktag für die Seligen Märtyrer von Dachau, gedenkt.

Projekte und Initiativen zum Thema „Erinnern und gedenken“ in der Erzdiözese München und Freising

Zahlreiche Projekte in der Erzdiözese München und Freising beschäftigen sich mit Fragen der Erinnerungskultur:

Literaturhinweise

  • Assmann, Aleida: Der europäische Traum. Vier Lehren aus der Geschichte, C.H. Beck, München 2019.
  • Dieselbe: Formen des Vergessens, Wallstein, Göttingen 2016.
  • Dieselbe: Im Dickicht der Zeichen, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2015.
  • Dieselbe: Das neue Unbehagen an der Erinnerungskultur. Eine Intervention, C.H. Beck, München 2013.
  • Dieselbe: Der lange Schatten der Vergangenheit. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik, bpb, Kassel 2006.
  • Dieselbe: Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächntnisses, C.H. Beck, München 2003.
  • Erll, Astrid: Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen. Eine Einführung, Metzler, Stuttgart 2017.
  • Feldmann, Christian: Menschen gegen den Hass. Porträts engagierter Juden und Christen, Topos plus, Regensburg 2017.
  • Schrafstetter, Susanna: Flucht und Versteck. Untergetauchte Juden in München – Verfolgungserfahrung und Nachkriegsalltag, Wallstein, Göttingen 2015.

Weitere Links

Referenten und Kompetenzträger

Simone Malaguti

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