Fremdheit

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Der Begriff „Fremdheit“ steht für ein Gefühl oder eine Annahme, dass etwas von der Normalität abweicht, andersartig ist, nicht dazugehört oder einfach unbekannt ist. Es gibt nicht „die“ Fremdheit, es gibt verschiedene Begriffe, die wissenschaftlich Fremdheitszustände erklären: (Selbst-)Entfremdung, Verfremdung, Integration, Assimilation, Xenophobie, Rassismus usw.

Fremdheit kann man nicht rationell erfassen, das ist ein Seinsmodus, das ist ein Teil des Menschenseins, sie kann nur als subjektive Erfahrung wahrgenommen werden. In der Behauptung Diese Tradition ist mir fremd, bezeichnet fremd keine Qualität der Tradition, sondern eine Zuschreibung in Bezug auf das Subjekt, welche sich auf ein Nicht-Zugehörigkeitsverhältnis ausdrückt oder in einer interkulturellen Situation sieht. Fremdheit ist somit immer etwas Konstruirtes und hängt mit Empfindungen und Wahrnehmungen eines Individuums, das etwas als Fremdes erklärt. Diese Perspektive wird in Dislussion über die Transkultur aufgenommen.

Fremdheit nach den verschiedenen Disziplinen

Der Philosoph Bernhard Waldenfels bezeichnet Fremdheit als ein vielfältiges und u. a. auch als ein relatives Phänomen, das einen vorläufigen oder vorübergehenden Charakter haben kann und das immer erst in einer bestimmten Situation entsteht. Fremdheit ist nicht per se vorhanden, sondern lässt sich „bezogen auf das Hier und Jetzt, von dem aus jemand spricht, handelt und denkt“, bestimmen (Waldenfels, 1997, S. 23). Das bedeutet, dass „das Eigene“ eine begleitende Dimension der Fremdheit ist.

Die Psychoanalytikerin Julia Kristeva macht uns auf die historische Entwicklung des Begriffs „Fremdheit“ aufmerksam, denn für sie ist Fremdheit ein Aspekt unserer Zivilisation bzw. eine Zivilisationsform. So zeige die Kulturgeschichte, dass sich die Bedeutung von Fremdheit im Laufe der Zeit verändert.

Die Literaturwissenschaftlerin Andrea Leskovec betrachtet den Begriff „Fremdheit“ als eine Eigenschaft oder einen Seinsmodus. Ein (literarischer) Text kann einen Raum schaffen, „in dem das Verhältnis des Menschen zu dem Unverfügbaren inszeniert, reflektiert wird.“ (Leskovec, 2011, S. 55). Die ästhetische Textarbeit ermöglicht die Beschreibung von Fremdheit bzw. Fremdheitserfahrungen oder darüber, wie Menschen Fremdheit individuell wahrnehmen.

Aspekte der Fremdheit

  • Ort: Etwas kommt außerhalb des eigenen Bereiches vor.
  • Besitz: Etwas gehört jemandem anders.
  • Begegnungsform: Etwas ist dem Eigenen gegenüber fremd, anders, nicht vertraut.

Fremdheitsgrade nach Waldenfels (1997)

  • Alltägliche Fremdheit, wie z. B. die erste Hilfe beim Ankommen in einer fremden Umgebung, einem fremden Land, Unterstützung bei grundlegenden, alltagsrelevanten Dingen (Wo finde ich die nächste Botschaft? Wo kaufe ich Fahrkarten?)
  • Strukturelle Fremdheit, wie z. B. die kulturellen Unterschiede in der Struktur einer Gruppe, „Do and Do nots“ einer bestimmten Gesellschaft, Gruppe oder Nationalkultur
  • Radikale oder extraordinäre Fremdheit, wie z. B. Geschehnisse, die sich schwer im Bewusstseinszustand erfassen lassen (Tod, Rauscherfahrung, Schlafzustand u.a.), Fremdheit als Jenseitiges

Mit diesen unterschiedlichen Fremdheitsgraden und ihren Erscheinungsformen im Sozial- oder Kommunikationsbereich beschäftigen sich viele interkulturelle Trainingsformate. Interkultureller Austausch, interkulturelle Dialogrunden und Trainings wie critical incidents oder cultural asimilator gehen davon aus, dass bei Begegnungen immer Fremdheit gegenüber Angehörigen anderer Kulturen vorhanden ist. Fremdheit verursacht Gefühle der Ambivalenz, die aber durch professionelle Trainings überwunden werden können.

Christliche Aspekte zur Fremdheit

In der Bibel begegnet der Begriff des Fremden hauptsächlich in der Person des fremden Menschen. Das Alte Testament sieht in seinen Geboten die Unterstützung Fremder vor, plädiert für ihre rechtliche Gleichstellung und für Gastfreundschaft. Die Grundaussage zielt demnach auf eine Integration Fremder ab.

Neben dem im Alten Testament geforderten Verhalten gegenüber Fremden tritt im Neuen Testament das Christusgeschehen in den Vordergrund, das die Fremdheit gegenüber anderen aufhebt. Fremdheit begegnet im Neuen Testament jedoch als Abgrenzung und kritische Distanz der Gemeinde zur Welt, von der sie deutlich unterschieden wird.

Die christliche Sichtweise auf alle Menschen als freiheitliche und mit gleicher Würde ausgestattet Individuen bringt eine solidarische Pflicht mit sich, die in gegenseitiger helfender Verantwortung zu einem integrativem Verhalten gegenüber fremden Menschen führt.

Projekte und Initiativen in der Erzdiözese

Zahlreiche Projekte in der Erzdiözese München und Freising beschäftigen sich mit Fragen der Fremdheit:

Literaturhinweise

  • Allolio-Näcke, Lars; Kalscheuer, Britta et al.: 2004. Differenzen anders denken, Campus-Verlag, Frankfurt 2004.
  • Kristeva, Julia: Fremde sind wir uns selbst, Suhrkamp, Frankfurt 1988.
  • Leskovec, Andrea: Einführung in die interkulturelle Literaturwissenschaft, WBG, Darmstadt 2011.
  • Schlagheck, Michael (Hg.), Theologie und Psychologie im Dialog über Identität und Fremdheit, Paderborn, 2000.
  • Schwienhorst-Schönberger, Ludger, Hunold, Gerfried W.: Art. „Fremder“, in: Lexikon für Theologie und Kirche (LThK), Band 4, Freiburg 1995, 125–127.
  • Waldenfels, Bernhard: Ordnung im Zwielicht., Suhrkamp, Frankfurt 1987.
  • Waldenfels, Bernhard: Topographie des Fremden, Suhrkamp, Frankfurt 1997.

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